Sprache ist (k)ein Zufall – Johannes F. Kretschmann am WGN
Der bekannte Sprachwissenschaftler und Mundartkünstler Johannes F. Kretschmann besuchte im Rahmen der baden-württembergischen Heimattage 2024 auf Initiative des Arbeitskreises „Mundart in der Schule“ das Benedikt Maria ...
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Sprache ist (k)ein Zufall – Johannes F. Kretschmann am WGN
Der bekannte Sprachwissenschaftler und Mundartkünstler Johannes F. Kretschmann besuchte im Rahmen der baden-württembergischen Heimattage 2024 auf Initiative des Arbeitskreises „Mundart in der Schule“ das Benedikt Maria Werkmeister Gymnasium Neresheim. Er bestritt dabei Doppelstunden mit den beiden 10. Klassen, die sich bereits in den vergangenen Wochen im Unterricht mit dem Thema „Dialekt“ beschäftigt hatten.
Zunächst befragte er die Schülerinnen und Schüler zu ihrem persönlichen Gebrauch und ihren Ansichten über Dialekt im Allgemeinen sowie das Schwäbische im Besonderen. Dabei war auf dem Härtsfeld eine erstaunliche Offenheit festzustellen: die entschiedene Mehrheit der Schülerschaft kann selbst Schwäbisch sprechen und bewertet Dialekt grundsätzlich positiv – was eben bei weitem nicht überall so ist, wie Kretschmann erklärt und was sein Engagement für den schwäbischen Dialekt mit erklären kann. So ist er auch regelmäßig mit einem eigenen schwäbischen Bühnenprogramm zu sehen.
Anschließend an diese kleine statistische Erhebung begann er, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern einige sprachwissenschaftliche Grundlagen zu Dialekten zu erarbeiten. Dabei unternahm er gemeinsam mit den Zuhörenden eine kleine Tour durch Phonologie, Morphologie und Lexik des Schwäbischen, erklärte aber auch die Stellung von Dialekten in anderen Teilen des deutschsprachigen Gebiets wie beispielsweise Luxemburg oder der Schweiz, in denen der Dialekt Amtssprache ist. Dass Dialekt dabei ebenso Gesetzen folgt wie jede andere Sprache und ihre Ausprägungen nicht zufällig sind, ist Kretschmann dabei besonders wichtig. Dies verdeutlichte er anhand von Beispielen, die sich aus dem Alt- und Mittelhochdeutschen ableiten und erklären lassen, so beispielsweise Pluralformen oder Genera, die sich vom Standarddeutschen unterscheiden. Besonders unterhaltsam wurde es anschließend beim Ergründen von schwäbischen Schimpfwörtern. Zu diesem Zwecke hatte Kretschmann ein Handbuch griffbereit, in welchem die einzelnen Wörter ausführlicher erläutert und deren Herkunft und Ableitung erklärt wurden. Manch herzhaftes Lachen und schelmisches Schmunzeln konnte hierbei der Zuhörerschaft entlockt werden.
Ein kleiner Ausflug zur Rolle des Gälischen in Irland führte ihn schließlich dazu, einen rätselhaften Text, der seit Beginn an der Tafel prangte, ins Deutsche zu übertragen. „Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Flotte“ – ein jiddisches Zitat des Sprachwissenschaftlers Max Weinreich. Denn welcher Dialekt tatsächlich zur Sprache wird, entscheidet dann am Ende doch der Zufall, schließlich erheben erst staatliche Strukturen und staatliche Macht einen Dialekt endgültig in den Status einer Sprache.
Als Einstimmung in den praxisorientierten Teil der Doppelstunde trug Kretschmann zur Inspiration eine Geistergeschichte bzw. ein schwäbisches Gedicht vor. Dann ging es in einem kleinen Workshop darum, selbst ein Dialektgedicht zu schreiben – Haikus zum Thema „Liebe im Dorf“. Dabei entstanden sehr lustige Texte, die Johannes Kretschmann selbst sehr leidenschaftlich und süffisant vortrug, um sie abschließend durch eine Jury bewerten zu lassen. Am Ende wurde dann das Siegergedicht gekürt.
Darüber hinaus waren die Schülerinnen und Schüler auch beim Lesen eines kleinen Dialogs aus einem Werk des Mundart-Dichters Sebastian Blau gefordert. Kretschmann wollte damit zeigen, dass es oftmals deutlich einfacher ist, Schwäbisch zu „schwätze“, als es zu lesen.
So hatten schließlich alle Schülerinnen und Schüler nicht nur viel Spaß an der ungewohnten Schulstunde, sondern konnten auch den eigenen Horizont erweitern.
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